[Fast] ohne Vorwarnung kam die Flut über das Ahrtal. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 brauch eine Katastrophe über die beschauliche Weinregion herein. Zurück bleiben Schlamm, unfassbares Leid und viele Jahre harter Arbeit, die den Bewohnern nun bevorstehen.
Als der Wasserstand endlich fällt, beginnt Andy Neumann, der in Bad Neuenahr-Ahrweiler rund 200 Meter von der Ahr entfernt wohnt, zu schreiben, als Selbsttherapie zunächst. Über die folgenden Wochen hinweg verfasst der Kommissar, der im Terrorismusbereich beim Bundeskriminalamt arbeitet, so sein ganz persönliches „Protokoll einer Katastrophe“ – zunächst auf Facebook, später als Buch.
„Liebe Facebook-Freunde, unser Haus wurde heute Nacht im absoluten Wortsinn geflutet. Und ich, ein erwachsener Mann, Polizist voller Selbstvertrauen, der sich nicht daran erinnern kann seit seiner späten Jugend je etwas wie Angst gefühlt zu haben, ich hatte eine Scheißangst. Um meine Kinder, meine Frau und ja, sogar um mich selbst.“
Drei Aspekte, die aus Sicht des Bevölkerungsschutzes besonders Interessant sein dürften, möchte ich aus dem Buch „Es war doch nur Regen!?“ herausgreifen…
Warnung der Bevölkerung
Andy Neumann, der mit seiner Familie in Bad Neuenahr-Ahrweiler wohnt, macht sich keine Sorgen an diesem Abend. Niemand hat [an die Prognosen angepasst] gewarnt, und er ist überzeugt, dass [eindringliche] Warnungen erfolgt wären, wenn ernste Gefahr drohen würde…
„Gegen 20.15 Uhr, ich telefoniere gerade, bin aber nicht mehr sicher, mit wem, fährt die Feuerwehr am Haus vorbei. […] Die Durchsage, die in diesen Minuten erfolgt, habe ich dank des Videos im Wortlaut, auch wenn eingangs etwas fehlt. Sie lautet:
„… Ahr ist die Hochwassergefahr sehr hoch. Innerhalb der nächsten 24 Stunden ist mit Überflutungen, Stromausfall und Verkehrsbehinderungen zu rechnen. Halten Sie sich möglichst nicht in Kellern, Tiefgaragen und tieferliegendem Gelände auf. Sichern Sie flussnahe Gebäude und entfernen Sie Ihre Pkws aus dem Gefahrenbereich. Informieren Sie sich über die Medien und behalten Sie das Wetter und das Abflusssystem im Auge. Achten Sie unbedingt auf Ihre eigene Sicherheit und auf die Anweisungen der lokalen Einsatzkräfte.“
Ich muss es verdeutlichen, damit Sie, liebe Leser, das einsortieren können: Ich bin Bundesbeamter, tagaus, tagein mit Gefahrensituationen, Großschadenslagen und der Vorbereitung darauf beschäftigt. Was ich, auch heute noch, aus dieser Durchsage heraushöre, ist: „Hohe Hochwassergefahr. Eventuell Stromausfall. Nicht in den Keller gehen (den ich nicht habe). Flussnahe Gebäude sichern (das ich nicht habe). Pkw aus dem Gefahrenbereich entfernen (in dem ich offenbar nicht bin, siehe voriger Satz). Auf meine Sicherheit achten (tue ich immer). Anweisungen lokaler Einsatzkräfte beachten (die ja gerade an unserem Haus vorbeifahren).Was ich – ebenfalls auch heute noch – nicht heraushören kann, ist: „Sie befinden sich in einer Gefahrenzone, es ist hier mit Überflutungen zu rechnen, die nicht nur Keller oder Tiefgaragen betreffen werden. Bringen Sie sich sofort in Sicherheit!“ Aber wer weiß, vielleicht liegt das an mir.
Andy Neumann, Es war doch nur Regen!?
Der Notruf
Ein folgenschwerer Irrtum, den er mit Stunden der Ungewissheit und der Angst bezahlt. Für eine Evakuierung ist es längst zu spät, als das Erdgeschoss seines Hauses vollläuft, bis nur noch fünf Stufen übrig bleiben, die das Wasser vom Obergeschoss und von seiner Familie trennen. Es bleibt nur Warten und Hoffen…
Es sind noch fünf Stufen bis zum Obergeschoss. Das Wasser steigt. […] Ich rufe also die Feuerwehr an. Ich schätze den Anruf auf etwa 1.30 bis 2 Uhr ein. Mir ist klar, ich werde schwer durchkommen. Mir ist klar, dort hat man extrem viel zu tun. Doch ich brauche Gewissheit, was die Lage angeht. Fünf Stufen noch und zwei kleine Kinder friedlich in ihren Betten. Müssen wir auf den Speicher, also die Kinder wecken und dort ausharren? Wird es noch schlimmer werden? Oder haben wir den Zenit schon überschritten?“
Der Feuerwehrmann hat das übrigens hervorragend gemacht, ich wollte es ja so [Anm.: Klartext]: Den Prognosen nach soll das Wasser eher noch steigen. Wenn es nur noch drei Stufen sind, sollen wir ins Dachgeschoss. Wenn auch das nicht reicht, muss ich das Dach aufbekommen und raus. Evakuierung: Fehlanzeige. Mehr kann er mir an Hilfe zur Selbsthilfe leider nicht mitgeben.
Ich bin nicht mehr panisch. Ich habe Angst. Todesangst. Nicht einmal groß um mich selbst. Aber um meine Familie. Aufs Dach? Wirklich? So hoch? Und was dann? Keine Hubschrauber, keine Rettung, nur wir selbst.
Andy Neumann, Es war doch nur Regen!?
Danach hat Andy Neumann immer wieder seine Erlebnisse bei den Aufräumarbeiten geschildert und sich von der Seele geschrieben, was ihn bewegt hat: der Kampf mit dem Matsch und dem unbrauchbaren Mobiliar, der Kampf mit Behördengängen, Versicherungen und Gutachtern, und die Wut über Versäumnisse politisch Verantwortlicher. Aber auch seine Dankbarkeit für die zahllosen Helferinnen und Helfer, die ins und in sein Haus Ahrtal kamen und mit anpackten.
Sondersignal im Katastrophengebiet
Mit den offiziellen Hilfskräften im Katastrophengebiet hat Andy Neumann in der Nacht, aber auch in den folgenden Tagen und Wochen sehr wenig Berührungspunkte. Dafür umso mehr mit den zahlreichen Spontanhelfern, die Stromaggregate organisieren und dabei helfen, das Haus wieder fit zu machen. Dennoch beschäftigt Andy Neumann der unsensible Umgang mit dem Sondersignal…
Übriges, Thema Blaulichtsparte: Ich kann es mir nicht verkneifen, sorry! Hier leben jetzt Tausende Menschen, die mindestens mal angeschlagen bis traumatisierte sind. Darunter auch Kinder wie meine, jedenfalls bis gestern. Und auch wenn es bis vor sieben Tagen gerade für den Kurzen der Hammer war, wenn mal ein Martinshorn ertönte – irgendwann nutzt sich das ab. Und andere Menschen, die ich kenne, konnten und können es einfach nicht mehr ertragen, es erinnert nun an etwas, und das ist nichts Schönes!
Also: Warum zur … muss es sein, dass die Feuerwehr – wirklich, ZIGMAL erlebt!!! – mit Horn fährt, wenn sie zum Beispiel mit drei Wagen hintereinander über die völlig freie Heerstraße donnert? […] Ich würde mir das Bashing wirklich gerne schenken, aber noch mal: Hier sind alle angegriffen, und das … ding hat jetzt schlichtweg aus zu bleiben, wenn es nicht gebraucht wird!
Andy Neumann, Es war doch nur Regen!?
Andy Neumann nimmt die Leser mit in diese und zahlreiche weitere Situationen und macht auf sehr persönliche Weise deutlich, welche Kämpfe die Bewohner des Ahrtals durchstehen mussten. Feinsinnig und mit einer Prise Humor, insbesondere aber von einem klaren Willen geprägt: weitermachen.